Das Marathon-Beispiel

Erstellt von Daniel Terwersche am Feb 23, 2021 7:30:00 AM

Hierzu möchte ich eine kleine Geschichte erzählen: In den letzten 14 Jahren bin ich persönlich einige Marathons gelaufen. Mehr schlecht als recht, doch ich habe stets die 42 km gemeistert. Außerdem habe ich in verschiedenen Laufanfänger-Gruppen die anderen Läufer als Laufbetreuer unterstützt.

Das Offensichtliche ist: Sowohl der Laufanfänger als auch ich, der Marathonläufer, beackern dieselbe Disziplin: das Laufen. Doch die Ziele und die Erwartungen sind sehr unterschiedlich. Der Laufanfänger möchte vielleicht ein wenig abnehmen, sich fit fühlen und in der Gemeinschaft etwas schaffen, was er vorher noch nicht geschafft hat. Als Marathonläufer bin ich bereits viele Phasen durchlaufen. Bei einer harten Vorbereitung bin ich mehrmals die Woche für mehrere Stunden unterwegs. Allein im Training laufe ich meist 50 – 80 km pro Woche.

Wenn ich also einen Laufanfänger frage, ob dieser sich vorstellen kann einen Marathon zu laufen, dann wird er mir mit Sicherheit einen Vogel zeigen. Gedanklich ist der Marathon überhaupt nicht greifbar und die Vorstellung ist so weit weg. So wird er ziemlich viele Gründe finden, den Marathon nicht zu laufen.

 

Und genau da ist auch die Brücke zur Digitalisierung und zu komplett digitalen Prozessen.

Viele Kanzleiinhaber orientieren sich quasi an den Marathonläufern: Alles komplett digital, keine Pendelordner mehr, automatisierte Fibu und die Löhne macht der Mandant über eine Webplattform selbst. Und auf diese Weise ist viel Zeit für innovative Beratungsansätze verfügbar, die natürlich durch Softwarelösungen unterstützt werden.

 

Zahlreiche Mitarbeiter hingegen orientieren sich eher an den Laufanfänger: Die Vorstellung fehlt, wie alles digital gehen soll, denn schließlich arbeitet man bereits seit vielen Jahren oder gar Jahrzehnten immer ähnlich. Da sie das seit Jahren kennen, wollen die Mandanten doch auch weiterhin so zuverlässig betreut werden. Viele denken: „Das wird doch eh nicht klappen, da doch keiner einen präzisen Plan hat, wie das gehen soll. Der Chef erklärt immer Veränderungen, die noch nie richtig funktioniert haben.“

 

Zugegeben, auch hier gibt es wieder unterschiedliche Etappen. Neben dem Laufanfänger und dem Marathonläufer, gibt es noch verschiedene Zwischenzustände:

 

1. Etappe: Der Laufanfänger

Dieser hat das Ziel einfach laufen zu können, ohne zwischendurch Gehpausen einzulegen. Wenn er 30 Minuten am Stück laufen kann, dann hat er sein persönliches Ziel erreicht.

 

2. Etappe: Der 5 km-Läufer

Sobald der Laufanfänger es geschafft hat 30 Minuten am Stück zu laufen, setzt er sich ein neues Ziel: einen 5 km-Lauf. Diese Vorstellung ist dann nicht mehr so weit weg und damit greifbar. Also ist es das nächste Ziel diese Distanz zu erreichen.

 

3. Etappe: Der 10 km Läufer

Jeder 5 km-Läufer überlegt, ob er nicht auch einen 10 km-Lauf schaffen kann. Er hat bereits Erfahrungen mit dem Laufen gemacht und erkannt, wie viel ihm dieses Hobby bringt. Ihm geht es gar nicht mehr ausschließlich ums Abnehmen oder der frischen Luft. Vielmehr braucht er das Laufen für seinen inneren Ausgleich.

 

4. Etappe: Der Halbmarathonläufer

Jetzt wird das Laufen schon zu einem festen Bestandteil des Alltags. Nun schafft der Läufer die 10 km und hat von so vielen anderen Läufern erfahren, wie aufregend es ist einen Halbmarathon zu laufen. All die großen Veranstaltungen pushen jeden Läufer zum Niveau eines Halbmarathonläufers.

 

5. Etappe: Der Marathonläufer

Jeder der schon einen Halbmarathon gelaufen ist, überlegt – zumindest kurz – einen Marathon zu laufen. Es ist zwar immer noch ein großer Schritt, allerdings ist es vorstellbar und die Krönung für viele Läufer.

 

Wie man an diesen 5 Etappen sieht ist der Weg das Ziel. Jede einzelne Etappe hat eigene Ziele, Erwartungshaltungen und Vorstellungen.

 

Wichtig ist, dass jeder Mitarbeiter dort abgeholt wird, wo er im Moment steht. Jeder sollte sich auf die nächsthöhere Etappe freuen und sich vorstellen können diese zu erreichen. Es ist dringend notwendig, dass er das Etappenziel mit positiven Vorstellungen assoziiert.

 

Diese könnten wie folgt ausschauen:

 

1. Etappe:

Die vorhandenen Prozesse werden dokumentiert. Gemeinsam (idealerweise unter Berücksichtigung des Bierdeckel-Projektmanagements und dem Weekly) werden die einzelnen Prozesse definiert sowie dokumentiert. Die Dokumentation kann in verschiedenen Formen erfolgen: Via Dokumente, einem eigenen Kanzlei Wiki oder auch in einer Qualitätsmanagement Softwarelösung.

 

2. Etappe:

Den Posteingang-Prozess zu definieren und zu digitalisieren. Wenn erst einmal alle Schriftstücke eingescannt und digital zur Verfügung gestellt werden, füllt sich die digitale Ablage. Entweder das Dokumentenmanagement, die Dokumentenablage oder einfach die Dateiablage mit digitalen Dokumenten, ohne dass diese auf den Schreibtischen zu finden sind.

 

3. Etappe:

Die digitale Zusammenarbeit mit den Mandanten wird fokussiert. Ziel ist es, dass immer weniger Papierdokumente in die Kanzlei gelangen. Es wird immer weniger Pendelordner geben und die digitale Wertschöpfung wird von allen Mitarbeitern gelebt.

 

4. Etappe:

Neben der Papiervermeidung, werden auch die Prozesse innerhalb der Kanzlei komplett digitalisiert. Hier einige Beispiele: Urlaubsplanung, digitales Signieren, Personalakte, interne Kommunikation professionalisieren, Videokonferenzen für externe und interne Besprechungen einsetzen und vieles mehr.

 

5. Etappe:

Durch digitale Prozesse werden hier weitere Wertschöpfungen erzielt. Zum Beispiel den Rechnungseingangsprozess mit Freigaben, digitales Signieren vom Mandanten, einfache Personalstammdatenerfassung durch Mandanten und vieles mehr. Des Weiteren wären Automatisierungen denkbar, sodass immer wiederkehrende Belege automatisch verbucht werden.

 

Der skizzierte Etappen-Prozess soll lediglich ein Beispiel sein. Er verdeutlicht, dass jede Etappe bestimmte Ziele verfolgt und die Mitarbeiter mitnimmt. So entstehen, ohne Überforderung und mit einer sehr hohen Akzeptanz der Mitarbeiter, durchgehend digitale Prozesse.

Der Weg zur vollständig digitalen Kanzlei kann so im eigenen Tempo gegangen werden.

 

Thema: Quick Win

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